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Trauer um die Eltern: Warum wir Erwachsenen immer auch Kinder bleiben

Da ist er wieder, mein Anti-Monat. Früher fand ich den November einfach nur grau und düster. Seitdem mein Vater gestorben ist, erlebe ich ihn in Trauer. Die ständigen Gedenktage mit dem steten Verweis auf den Tod reißen Wunden auf, die ich lieber geschlossen lassen würde. Doch das gelingt halt nicht immer. Und jedes Mal spüre ich, wie ich innerlich wieder zum verletzten Kind werde.

Trauer und Zeit

Man sagt, die Zeit heilt alle Wunden. Für mein Empfinden stimmt das nicht. Die Zeit legt lediglich eine dünne Schicht Alltag und Weitermachen über die Wunde, die ein geliebter verstorbener Mensch hinterlässt. Von Heilung kann da keine Rede sein. Der Schmerz mag im Laufe der Zeit etwas weniger werden, denn natürlich lernt man, damit zu leben. Doch er ist immer da. Verborgen unter einer fragilen Oberfläche, die ganz leicht Risse bekommen kann. Und wenn erstmal ein Riss da ist, dann breitet er sich aus wie Krater in trockener Erde. Beharrlich und unaufhaltsam.

Was löst diese Risse aus? Bei mir sind es Situationen, in denen mein Vater mir ganz besonders fehlt. Es sind Lieder die ich zufällig höre und die mich voller Wucht an ihn erinnern. Es sind die Wochen in Richtung Weihnachten, die voller Freude und Trauer zugleich sind. Denn jeder, der einen geliebten Menschen verloren hat weiß: Nichts ist mehr so wie früher. Nie wieder wird es so sein, wie man es einst kannte. Es geht weiter und zumeist geht es auch gut weiter. Aber anders ist es allemal und die Zeit lässt sich nie wieder zurückdrehen. Eine bittere Erkenntnis, mit der ich immer wieder hadere.

Mutter sein – und Tochter

Und so merke ich, wie ich trotz meiner 45 Jahre und meiner eigenen vier Kinder wieder in die Rolle des Kindes verfalle. Dass die eigenen Eltern „da“ sind, ist im Laufe eines Kinderlebens eine Selbstverständlichkeit. Zumindest für mich war das der Fall und ich habe dieses Gefühl sehr geliebt und gebraucht. Doch seit einigen Jahren fehlt da etwas. Mein Vater fehlt. Er hat eine Lücke hinterlassen, die mich wieder Kind werden lässt. In meiner Rolle als Tochter – sowohl meines Vaters, als auch meiner Mutter.

Denn natürlich sind da auch die starken Gefühle für das verbliebene Elternteil. Wie geht es meiner Mutter und wie kann ich ihr als Kind bestmöglich in ihrer Trauer helfen? Müsste ich mehr machen, mich häufiger anbieten oder sie öfter einladen? Meine Mutter verneint all dies mit ihrem liebevollen Lächeln und schüttelt energisch den Kopf. So tapfer und immer darauf bedacht, dass es mir, ihrem Kind, gut geht. Als Mutter meiner eigenen Kinder kann ich sie voll und ganz verstehen. Als ihr Kind würde ich mir manchmal wünschen, dass sie sich mehr von mir helfen ließe.

Das Ende der eigenen Kindheit

Wenn ein Elternteil stirbt, stirbt auch ein Teil der eigenen Vergangenheit. Viele Momente, die ich mit meinem Vater erlebt habe, habe ich nach seinem Tod ganz anders bewertet. Sie wurden größer und wichtiger, eben weil sie im Rückblick noch so viel kostbarer waren. Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich, dass gemeinsame Zeit wirklich das größte Geschenk ist, das wir unseren Kindern machen können. Ich werde ewig dankbar sein, dass mein Vater mir so eine Fülle von Erinnerungen geschenkt hat – auch wenn sie mir heutzutage manchmal die Tränen in die Augen treiben.

Egal ob wir unsere Eltern mit 40, 50 oder sogar 60 Jahren verlieren – die Trauer wird uns als Kinder immer überwältigen und uns aus unserer vertrauten Bahn werfen. Natürlich ist es ein Segen, wenn die Eltern erst gehen, wenn man selber über das Kindes- und Jugendalter hinaus ist. Ich habe Kinder begleitet, die ihre Eltern im Laufe der Grundschulzeit verloren haben. Das ist ein Schicksalsschlag, der sicher noch tiefere Wunden hinterlässt, als ich sie als erwachsene Frau erfahren habe. Und dennoch tut der Verlust auch im höheren Alter weh, und wie.

So werde ich mich nun durch den November hangeln und den Dezember hoffentlich mit viel Licht im Herz begehen können. Als Mutter bin ich es meinen Kindern schuldig, ihnen die bestmöglichen Kindheitserinnerungen zu bereiten. Frei von Sorgen, voller Leichtigkeit und Vertrauen in ihr Leben. Dieses Leben ist so kostbar und es verrinnt so schnell. Achten wir darauf, jeden Tag bewusst zu erleben. Schieben wir gemeinsame Aktivitäten mit der Familie nicht auf, sondern nutzen wir auch den Alltag für glückliche kleine Auszeiten. Leben wir, voll und ganz. Und schicken unseren verstorbenen Angehörigen in Gedanken all die Liebe, die wir für sie empfinden – und immer empfinden werden.

Wie geht es dir in dieser besonderer Jahreszeit? Vermisst du jemanden ganz besonders und kannst du meine Gefühle nachvollziehen? Ich freue mich über deinen Kommentar!

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